Ansichten
zu Politik und Recht

Eugen David

Europäisches Recht stoppt
Verfahrensverschleppung in der Schweiz

Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist. So steht es seit langem als Grundrecht in unserer Bundesverfassung.

Wegen der Bundesgerichtspraxis blieb die Verfassung jedoch toter Buchstabe.

Auch wenn eine Behörde ein Verfahren jahrelang verschleppte, blieb eine Beschwerde meistens folgenlos.

Wurde nämlich eine Beschwerde bei Gericht eingereicht und die Behörde entschloss sich deswegen, den Fall endlich an die Hand zu nehmen, wurde die Beschwerde als gegenstandlos abgeschrieben und der Beschwerdeführer hatte nichts als Kosten.

Das Bundesgericht war der Ansicht, wenn eine Behörde entschieden hat – auch wenn das Verfahren noch so lange verschleppt worden ist – hat der Bürger kein schutzwürdiges Interesse, die widerrechtliche Verschleppung feststellen zu lassen.

Mit dieser Praxis blieben Gerichts- und Verwaltungsinstanzen auch bei gröbster Verschleppung regelmässig davor verschont, dass ihr Verhalten als verfassungswidrig festgestellt wurde.

Diese Praxis schützte die Behörden, aber nicht die Bürger. Das Grundrecht war ausgehebelt.

In der Schweiz gilt indessen immer noch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Immer wieder stellt sich heraus, dass der Grundrechtsschutz der EMRK wirksamer ist als derjenige der Bundesverfassung.

So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass auch Personen in der Schweiz einen Grundrechtsanspruch auf Feststellung widerrechtlicher Verfahrensverschleppungen haben.

Aufgrund der Urteile des EGMR hat das Bundesgericht seine Praxis nun geändert und anerkennt diesen Grundrechtsanspruch heute auch für Schweiz.

Es gibt rechtsnationale Kreise in der Schweiz, die den Grundrechtschutz der EMRK für Schweizerinnen und Schweizer für überflüssig halten und aufheben wollen. Mit der hier herrschenden Volksdemokratie sei bereits alles bestens geregelt.

Ein Irrtum und eine Dummheit. Gerade in einer Volksdemokratie, die zu emotionalen Mehrheitsentscheiden neigt, ist der Grundrechtsschutz für den Einzelnen und für Minderheiten aller Art unverzichtbar.

Der Mehrheitsentscheid in der Volksabstimmung steht nicht über allem: er gilt nur soweit als Grundrechte nicht verletzt werden.

Viele nehmen das leider erst wahr, wenn sie selbst von staatlichen Eingriffen in ihre Grundrechte betroffen sind.

13.04.2014

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