Ansichten
zu Politik und Recht
Eugen David
Gewerkschaftspräsident SP NR Pierre-Yves Maillard und Gewerkschaftssekretär Daniel Lampart sind mit der Spesenregelung des europäischen Entsenderechts nicht einverstanden.
Das europäische Entsenderecht verlangt für den Lohn die Anwendung des Rechts am Arbeitsort.
Für Arbeitnehmer-Spesen gilt dagegen das Recht jenes Mitgliedlandes, in welchem der Betrieb ansässig ist, und nicht das Recht am Arbeitsort.
Die unterschiedliche Regelung für Lohn und Spesen ist ein Kompromiss, der in den gesetzgebenden europäischen Institutionen - EU-Parlament und EU-Rat - erzielt wurde.
Die neuen EU-Mitgliedländer aus dem europäischen Osten hatten sich lange dagegen gewehrt, dass für den Lohn das Recht am Arbeitsort gilt. Als Konzession wurde den Ostländern für die Spesen die abweichende Regelung zugestanden.
Die Schweiz ist an der europäischen Gesetzgebung nicht beteiligt.
Die SVP/FDP-Regierung lehnt jede schweizer Mitbestimmung in den gesetzgebenden europäischen Institutionen - EU-Parlament und EU-Rat - ab.
Nach den von der Regierung geplanten Bilateralen III muss die Schweiz Kompromisse des europäischen Rechts, zu denen sie mangels Beteiligung in den europäischen Institutionen nichts zu sagen hatte, übernehmen.
Das ist das bundesrätliche Konzept des Bilateralismus.
Die Gewerkschafter Maillard und Lampart sind der Ansicht, wegen der europäischen Spesenregelung müssten die Bilateralen III abgelehnt werden. Der Bundesrat habe in den Verhandlungen zum Lohnschutz versagt. Hunderttausende Arbeitnehmer in der Schweiz würden geschädigt.
Wie sie auf Hunderttausende kommen, sagen sie nicht.
Wenn EU-Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern in der Schweiz Aufträge ausführen, müssen sie ihren Mitarbeitern nach deutschem, österreichischem, französischem oder italienischem Arbeitsvertragsrecht Spesen zahlen, wenn diese in der Schweiz übernachten und Anfahrtskosten haben.
Inwiefern die Spesenregelungen in den Nachbarländern schlechter sind als in der Schweiz, sagen SVP BR Parmelin und FDP BR Cassis in ihren Informationen nicht. Sie verhandeln mit der EU über das Entsenderecht und verfügen über alle Informationen. Weshalb sie nicht alle Informationen zu den Bilateralen III bekanntgeben, bleibt ein Rätsel.
NZZ-Redakteurin Ch. Neuhaus meint am 20.12.2024 zur bundesrätlichen Informationspolitik über die Bilateralen III: "Cassis redet wieder – aber er sagt immer noch nichts."
Schweizer Betriebe kommen in der Regel aus der Umgebung des Arbeitsorts, weshalb kaum relevante Spesen für Übernachtungen und Anfahrt anfallen dürften. Auch dann nicht, wenn die schweizer Arbeitgeber – wie oft – ihre Arbeitnehmer zu günstigen Konditionen aus der EU rekrutieren. Relevante Distanzkosten fallen dagegen bei den EU-Konkurrenzbetrieben an.
Aufgrund der Markrealitäten ist nicht ersichtlich, weshalb Hunderttausende in schweizer Betrieben gegenüber der EU-Konkurrenz benachteiligt sein sollen.
Angenommen der Bundesrat verspricht den Gewerkschaftern Maillard und Lampart, wenn sie den Bilateralen III zustimmen, das schweizer Entsendegesetz bezüglich Spesenregelung nicht an das europäische Recht anzupassen.
EU-Handwerksbetriebe aus den Nachbarländern wären also verpflichtet, bei Arbeiten in der Schweiz Spesen nach schweizer Recht zu bezahlen.
Eine solche Regelung würde dann europäisches Recht verletzen.
Die EU würde im Gemischten Ausschuss die Anpassung der Spesenregelung an das europäische Recht verlangen.
Der Bundesrat würde eine Anpassung wegen seines Versprechens gegenüber den Gewerkschaften ablehnen.
So wie er unter den Bilateralen I für EU-Betriebe eine Änderung der diskriminierenden achttägigen Voranmeldefrist und der diskriminierenden Kautionsvorschriften während 18 Jahren wegen der Gewerkschaften abgelehnt hat.
Nur ist die Rechtslage unter den vom Bundesrat geplanten Bilateralen III anders als unter den Bilateralen I.
Die EU kann nach den Bilateralen III beim Schiedsgericht die Anpassung des europarechtswidrigen schweizer Gesetzes verlangen.
Durch die jahrelange Weigerung, die diskriminierenden Vorschriften des schweizer Entsenderechts gegen EU-Handwerksbetriebe zu korrigieren, hat die Regierung diese institutionelle Neuregelung zulasten der Schweiz provoziert.
Der Bundesrat war sich ab 2006 im Klaren, dass das schweizer Entsenderecht das massgebende europäische Recht gemäss Freizügigkeitsabkommen verletzt.
Er nahm dies wegen der innenpolitischen Querelen der Rechtsnationalen und der Gwerkschaften in Kauf. Konsequenz sind die institutionellen Vorschriften der geplanten Bilateralen III.
Da es sich um eine Frage des europäischen Rechts handelt, müsste das Schiedsgericht die Streitfrage zum Entscheid an den EuGH weiterleiten.
Der EuGH würde sein Urteil dahingehend fällen, dass die schweizer Spesenregelung dem europäischen Recht widerspricht. Die schweizer Regierung könnte dem kaum widersprechen. Die Rechtslage ist klar und sie ist sich dessen bewusst.
Das Schiedsgericht müsste daraufhin dasselbe Urteil fällen.
Der Bundesrat müsste sich entscheiden, ob er das rechtswidrige Spesengesetz beibehalten oder anpassen will. Die Gewerkschafter Maillard und Lampart würden wohl die Beibehaltung des rechtswidrigen schweizer Spesengesetzes verlangen und – um die Forderung durchzusetzen - auf dem Bundesplatz Gewerkschaftsproteste veranstalten.
Der Bundesrat würde den Gewerkschaften wohl – wie bisher - folgen.
Die EU würde daraufhin Ausgleichsmassnahmen beschliessen.
Zum Beispiel könnte sie den Import von schweizer Käse auf den europäischen Markt nur noch nach gebührenpflichtiger Kontrolle der importierten einzelnen Käse durch die Lebensmittelinspektorate der Mitgliedsländer zulassen.
Damit ginge die bundesrätliche Unterstützung der Gewerkschaften zulasten der einheimischen Landwirtschaft. Der Bauernverband würde vor dem Bundeshaus grosse Bauernproteste veranstalten.
Werden europarechtswidrige Gesetze zugunsten einer Gruppe durchgezogen, werden mit den Ausgleichsmassnahmen andere Gruppen in der Schweiz geschädigt. Das ist systemimmanent.
Der Bundesrat kann noch an das Schiedsgericht gelangen und geltend machen, die Hinderung des Käseexports in die EU sei unverhältnismässig.
Das Schiedsgericht besteht aus zwei Ausländern und einem Schweizer. Der im Streitfall massgebende Präsident ist Ausländer, aber nicht aus der EU, eventuell ein Engländer, Amerikaner, Chinese oder Russe.
Er wird sich daran erinnern, dass sich der Bundesrat in den Bilateralen III verpflichtet hat, das europäische Recht homogen auch in der Schweiz anzuwenden. Der Rechtsbruch liegt auf Seiten der schweizer Regierung.
Der vorsätzlichen Diskriminierung der EU-Handwerksbetriebe durch die Schweiz setzt die EU die Diskriminierung des schweizer Käses entgegen.
Die Erwartung des Bundesrats, der Schiedsgerichtspräsident werde zugunsten der Schweiz entscheiden und von der EU den ungehinderten Zutritt für den schweizer Käse auf den Binnenmarkt verlangen, dürfte sich kaum erfüllen.
In beiden Fällen geht es um Behinderung des Marktzutritts, einmal durch die Schweiz für EU-Handwerksbetriebe, dass andere Mal durch die EU zulasten des schweizer Käses.
Was soll daran unverhältnismässig sein. Weshalb soll das Einkommen aus dem Export von schweizer Käse in die EU mehr wert sein, als das Einkommen aus dem Export von EU-Dienstleistungen in die Schweiz.
Im Ergebnis sind nach einer solchen Übung das innenpolitische Klima und das Verhältnis zur EU vergiftet.
Laut FDP Präsident Thierry Burkart sollte in einem solchem Fall die ganze Übung abgebrochen werden. Meint er damit den Schwexit?Es bleibt ein Rätsel, weshalb die SVP/FDP-Regierung die mögliche Verletzung des europäischen Rechts unter Inkaufnahme von Ausgleichsmassnahmen als besonderen Gewinn der Bilateralen III für die schweizer Souveränität anpreist.
27.12.2024